Pfadfinderei in den Kreisen Harburg und Stade

Die Artikel wurden als 2-Teiliger Report von Björn Maatz (Alf) vom Stamm Horse geschrieben

2000-01

Pfadfinderei - exotisches Hobby?

WOCHENBLATT-Special in zwei Teilen - 1.Teil:Wölflinge, Pfadfinder, Ranger und Rover

(ma). Mit mehr als 30 Millionen Mitgliedern der größte Jugendverband der
Weit, und von vielen trotzdem noch als „Exoten" verschrien. Aber: Pfadfinden
ist nicht nur ein Hobby, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung. Es gilt der alte
Grundsatz: „Einmal Pfadfinder, immer Pfadfinder."
Doch nach wie vor muss die Pfadfinderbewegung gegen viele Vorurteile ankämpfen. Oft genug stellen die Pfadfinder unter Beweis, dass die tägliche Gute Tat out ist, daß sie sich nicht nur von Würmern ernähren und dass sie erst recht keine Nachfolgeorganisation der Hitlerjugend sind.
Pfadfinden bedeutet heute, in der Gruppe Gleichaltriger Spaß zu haben und aktiv seine Freizeit zu gestalten, ohne bloß zu konsumieren. Das wichtigste Pfadfinderelement ist und bleibt das gemeinsame „Auf Fahrt-Gehen". An Wochenenden und in den Ferien für einige Wochen im In- und Ausland mit Rucksack und Kohte, dem klassischen Pfadfinderzelt, loszuziehen, das zeichnet den wahren Pfadfinder aus.
Viele bezeichnen es als das vielseitigste Hobby. Zu recht: Wo sonst lernt man Feuermachen,
Kartenlesen, Knotenknüpfen, sich in der Natur zu orientieren, aber auch Teamfähigkeit und Toleranz in der Gruppe zu üben?
Der Erwerb von Sozialkompetenzen und die frühe Übernahme von Verantwortung lässt auch spätere, potentielle Arbeitgeber aufhorchen. Das vielbeschworene „Learning by doing" beispielsweise entspringt einer ureigenen Pfadfindermethodik. Pfadfinder sind in den verschiedensten Bünden mit den unterschiedlichsten Zielsetzungen organisiert. Doch
die Pfadfinderbewegung schließt sich in einer übergeordneten Definition zusammen: „Eine freiwillige, nicht-politische Erziehungsbewegung für junge Leute, die offen ist
für alte, ohne Unterschiede von Herkunft, Rasse oder Glaubensbekenntnis.
Pfadfinder gibt es seit mehr als 90 Jahren: 1907 wurden sie von Lord Robert Stephenson Smith Baden-Powell in England gegründet. Die gemeinsame Tracht, auch „Kluft" genannt, soll keinen militärischen Charakter haben, sondern symbolisiert vielmehr, dass gesellschaftliche Unterschiede bei den Pfadfindern keine Rolle spielen.
Der Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) ist als einziger interkonfessioneller Pfadfinderbund Deutschlands im Weltpfadfinderverband vertreten.
Weitere Partner sind der Verein Christlicher Pfadfinder (VCP), die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) und die Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG).
Darüber hinaus gibt es bundesweit eine Fülle von Splittergruppen und Bünden.
Das gleichberechtigte Miteinander des koedukativen BdP soll in der Namensgebung zum Ausdruck kommen. Der BdP soll hier nur exemplarisch näher beleuchtet werden, um eine typische „Pfadfinder-Karriere" aufzuzeichnen. Er gliedert sich in drei altersbedingte Stufen:
Die Jüngsten im Alter von sieben bis elf Jahren, „Wölflinge"
genannt, bilden eine Gruppe von etwa 15 bis 20 Kindern, die sogenannte „Meute". Das spielerische Element steht hier klar im Vordergrund. Der Name ist angelehnt an das Dschungelbuch, an dessen Geschichte sich die Meutenarbeit anlehnt.
Die Pfadfinderstufe richtet sich an die Altersgruppe
11 bis 15. In Kleingruppen von sechs bis acht Mitgliedern lernen die Kids das wirkliche Pfadfinderleben kennen. Ob es darum geht, aus Kokosnüssen Trinkgefäße zu basteln, ein Feuchtbiotop im Garten des Stammesheimes anzulegen oder ein Langzeitprogramm gegen „Minderheitendiskriminierung" auszuarbeiten - Pfadfinder kennen anscheinend keine
Schranken.
Schließlich sind da noch die Ranger und Rover. Die Altersstufe ab 16 bietet eine Fülle von Aufgaben und bringt sich mit ihren Fähigkeiten ein, zum Beispiel als Gruppenleitung,
bei der Fahrtenorganisation, Kassenverwaltung oder - in der Lagertechnik. Dabei wird eine ganze Menge verlangt:
Engagement, Zeiteinsatz, Kompromißbereitschaft, Teamfähigkeit, Motivation und unendlich viel Geduld. Doch trotzdem oder gerade deshalb gibt es noch einen ganzen Haufen älterer Pfadfinder, die sich einfach nicht von ihren zahlreichen Aufgaben trennen können. Pfadfinderei ist heute Entertainment pur; Voraussetzung dafür ist allerdings 100 Prozent
Selbstbeteiligung.
• Teil 2 des Pfadfinder-Specials beschäftigt sich mit der
Situation der Pfadfinder in den
Landkreisen Harburg und Stade.
Ist Pfadfinderei ein exotisches
Hobby? Wodurch unterscheiden sich die Apenser Pfadfinder von
den Bendestorfern? Warum opfern junge Erwachsene noch so viel Zeit dafür? Antworten auf
diese Fragen gibt es nächste
Woche im zweiten Teil.

 

Erschienen im Wochenblatt am 16.12.2000

2000-02

Pfadfinder - das letzte Stück Freiheit?


WOCHENBLATT-Special in zwei Teilen - 2.Teil: Szene in den Landkreisen Harburg und Stade

 (ma). „Elf Freunde sollt ihr sein". Der ehemalige Fußballbundestrainer Sepp Herberger wusste seine Jungs mit solch profanen Aussagen auf den kommenden Gegner einzustimmen.
Rund 30 Millionen Freundinnen und Freunde sind es dagegen bei den Pfadfindern und das weltweit. Ein Bruchteil davon ist in unseren Landkreisen zu finden (siehe Kasten unten). Das WOCHENBLATT hat nachgefragt, was die Pfadfinder zwischen Bendestorf und Harsefeld an ihrem Hobby so fasziniert, Marco Deede, Stammesführer
der Fredenbecker „Likedeeler" (ein Stamm im Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP)) findet eine spontane Antwort: „Zusammen mit anderen auf Fahrt
gehen, sein Zelt irgendwo aufschlagen und sich in der Natur zurechtfinden - das ist für mich
das letzte Stück Freiheit." Die Pfadfinderei ermögliche ihm, mit jedem sofort in Kontakt zu kommen, „ohne ihn überhaupt zu kennen". Trotzdem muss er zugeben, daß er einen Großteil seiner Freizeit dafür opfert. Aber das ist für ihn kein Problem.
Eike Gamon, Stammesführer im BdP-Stamm „Großer Jäger" aus Bendestorf, versinkt bei der Frage nach dem Reiz der Pfadfinderei in Gedanken. „Die Verantwortung für sich selbst und
für andere, das Miteinander, sich im Winter so richtig einen abzufrösteln - das alles ist wohl
Motivation genug." Eike sieht in der Pfadfinderei auch wichtige Aspekte für die eigene, gesellschaftliche Rolle: „Ich denke, durch die Pfadfinderei bin ich noch toleranter gegenüber Mitmenschen geworden. Bei uns versucht man von Anfang an, Minderheiten zu integrieren.'
Trotzdem glaubt er, dass in der Öffentlichkeit die Pfadfinder oftmals als „Deppen" bezeichnet werden. Er selbst kommt von der „Droge" Pfadfinder jedenfalls nicht so schnell los.
Lars Möbius betreut in Apensen zwei Sippen mit den klangvollen Namen Steinadler und r Drachen. Sein Stamm „Kleiner Prinz" gehört dem Verein Christlicher Pfadfinder (VCP) an. Ihm ist die umstrittene Außenwirkung der Pfadfinderei bewußt: „Für viele sind wir nur 'Fähnlein Fieselschweif“. Wo wir uns hingegen durch Öffentlichkeitsarbeit einen Namen machen konnten, dort haben wir auch einen höheren Stellenwert." Leider werde die gemeinsame Kluft von vielen immer noch mit einer Uniform verwechselt und die Pfadfinder deshalb dem rechten Bereich zugeordnet werden.
Torben Dankers, Stammesführer aus Harsefeld (Stamm „Horse", BdP) macht es deutlich: „In Harsefeld und Umgebung sind wir sehr bekannt, aber schon 15 Kilometer weiter in Buxtehude ist von Pfadfinderarbeit nichts zu spüren." Wo Pfadfinder nicht so
bekannt seien, gebe es auch mehr Vorurteile. Auch er schätzt das Zusammenleben einer Gruppe in der freien Natur - und teilt damit die Begeisterung von 30 Millionen Pfadfindern weltweit. Pfadfinderei scheint also nicht wenigen Exoten vorbehalten zu sein.

 

Erschienen im Wochenblatt am 23.12.2000